|
Bildunterschrift hinzufügen |
Der Natur ins Handwerk zu pfuschen, will überlegt sein. Ich erinnere mich noch an die ersten Obstbäume in meiner Obhut, denen ich den rigorosen Pflanzschnitt, das kräftige Einkürzen der ersten Äste, erspart habe. Irgendwo hatte ich gelesen, dass man das tun kann. Das Ergebnis war jämmerlich: Statt zwei Apfelbäumen mit einer harmonischen Krone, hatte ich zwei "Strempel" mit meterlangen Seitentrieben in unserem ersten Garten. Seither habe ich viel gelesen, praktisch dazugelernt, und ich lerne immer weiter, jedes Jahr ein bisschen, denn kein Baum ist wie der andere. Ich schaue sie an, umkreise sie, notiere mir im Kopf, wie sie auf den Schnitt vom Vorjahr reagiert haben, welcher Typ sie sind, eher forsch hinausschießend oder zuückhaltend, wild wuchernd oder mit Hang zur Ordnung.
An zwei Wochenenden habe ich mich nebenbei mit Astschere und Baumsäge durch alle Kronen gearbeitet, etwas früher als sonst, weil der Winter so mild ist und bald die neuen Blätter kommen.
Die Altmeister sagen, dass eine Obstbaumkrone so luftig sein muss, dass ein Hut hindurchgeworfen werden könnte, der nirgends hängenbleibt. Der Gedanke dahinter: Nicht zu viele Früchte, diese aber schön groß und optimal besonnt, das schützt vorbeugend auch vor Pilzerkrankungen. Beim "Hut-Test" würden meine großen Apfelbäume, beziehungsweise ich, glatt durchfallen. Der Hut müsste schon sehr klein sein, der Werfer ein gutes Auge für die Lücke haben, damit diesen Experiment gelingen könnte, obwohl ich gar nicht besonders zimperlich war, wie das Asthäufchen am Boden bewies. Trotzdem bin ich vorsichtig und halte mich an einen anderen Rat, den mir mal ein Baumpfleger vom Naturschutzbund gegeben hat: "Abschneiden kann man immer, drankleben nicht."
Und irgendetwas Ungeplantes passiert ständig: Pferd Aladin knickte mit seinem ausladenden Hinterteil im vergangenen Sommer mal eben einen Ast ab, einen anderen fraß er mitsamt Apfel gleich ganz auf, ein wunderschöner Ast wächst plötzlich krumm und schief und merkwürdig weiter, ein anderer stirbt ab. Es gibt also gute Gründe, immer einen Plan B zu haben und einen Alternativtrieb nicht gleich komplett zu entfernen, sondern erst dann, wenn er sich mit anderen ernstlich ins Gehege kommt.
Meiner Erfahrung nach, macht es noch aus einem anderen Grund Sinn, vergleichsweise junge und starkwachsende Bäume ein bisschen in Ruhe zu lassen, sonst könnte es passieren, dass man nachher einen hübschen grünen Laubbaum hat, der treibt und wächst und wächst und treibt und überhaupt nicht auf den Gedanken kommt, zu blühen, geschweige denn, Äpfel zu tragen.
Im vergangenen Jahr haben unser Celler Dickstiel und der Jakob Lebel uns eine erste kleine Ernte geschenkt. Die Äpfel waren vielleicht ein bisschen klein, aber ich will sie ja nicht im Supermarkt verkaufen, superlecker waren sie allemal, ganz ohne Spritzmittel und fliegende Hüte.